Muss überzahltes Kindergeld von Hartz IV-Eltern erstattet werden?
Zum 1. Januar 2010 sind die Beträge für das Kindergeld angehoben worden. Diese Anhebung
soll in vielen Fällen von den ARGEn nicht berücksichtigt worden sein. Wie den verschiedenen
Medienberichten zu entnehmen war, planen die Bundesagentur bzw. die ARGEn diese Beträge
zurückzufordern.
Fraglich ist, ob ein entsprechender Rückzahlungsanspruch tatsächlich besteht.
Gem. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X können Verwaltungsakte mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben
werden, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Verwal-
tungsaktes vorgelegen haben, geändert haben. Im vorliegenden Fall hätten sich nicht die tat-
sächlichen, sondern die rechtlichen Verhältnisse geändert. Zum Zeitpunkt des Zugangs des
Verwaltungsaktes bei den Leistungsempfängern muss dieser Verwaltungsakt noch rechtmäßig,
d. h. richtig gewesen sein (Geiger in info also 2009, 147). Im Dezember 2009, als die entspre-
chenden Leistungsbescheide bei den Hilfeempfängern eintrafen, war jedoch bekannt, dass das
Kindergeld zum 01.01.2010 angehoben wird. Der Bescheid war also zum Zeitpunkt des Eintref-
fens beim Leistungsempfänger bereits falsch, d. h. rechtswidrig. Ein rechtswidriger Leistungsbe-
scheid kann nicht gem. § 48 SGB X aufgehoben werden (Geiger, a. a. O.). Aufgehoben werden
kann dieser rechtswidrige Verwaltungsakt also nur unter den Bedingungen des § 45 SGB X.
Gem. § 45 Abs. 2 SGB X kann der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt nur aufgehoben
werden, wenn er entweder durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurde
oder der Verwaltungsakt auf Angaben beruhte, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahr-
lässig, in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder aber er die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Begünstigte, also die Hartz IV-Eltern, die erforder-
liche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt haben.
Die Eltern von Hartz IV-Kindern haben weder arglistig über das Vorhandensein der Kinder ge-
täuscht noch den Leistungssachbearbeiter bedroht oder bestochen. Sie haben auch keine feh-
lerhaften Angaben gemacht und deshalb liegt auch der Fall des § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X nicht
vor. Hartz- IV-Bescheide sind für die meisten Menschen völlig unverständlich und insofern
konnte der Leistungsempfänger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auch nicht erken-
nen. Eine Aufhebung dürfte deshalb in den allermeisten Fällen ausscheiden.
Die betroffenen Eltern sind aufgefordert, Widerspruch gegen eventuelle Rückforderungsbe-
scheide zu erheben.
Lediglich rein vorsorglich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass aus-
nahmsweise eine Aufhebung zulässig und richtig ist, dies nicht bedeutet, dass die Leistungs-
empfänger den überzahlten Betrag unverzüglich zurückzahlen müssen. Rechtstechnisch liegteine Aufrechnung vor. Eine Aufrechnung im SGB II ist nur
unter den Bedingungen des § 43 SGB
II möglich. Dieser setzt voraus, dass der Hilfebedürftige vorsätzlich oder grob fahrlässig fehler-
hafte Angaben gemacht hat. Dies liegt nicht vor und insofern ist eine Aufrechnung nicht möglich.
Der wirkliche Skandal an dieser Angelegenheit ist nicht die angebliche Überzahlung, sondern
der Umstand, dass Millionäre ein erhöhtes Kindergeld bekommen, wohingegen arme Kinder, d.
h. Kinder von armen Menschen, dieses erhöhte Kindergeld nicht bekommen, obwohl sie es viel
nötiger haben. Dies ist und bleibt der Hauptskandal an dieser politischen Weichenstellung.
26.01.2010