WAZ Zentralredaktion
Leserbrief zu dem Artikel „Hartz IV versinkt in Bürokratie“ vom 17.12.2011
In der WAZ von Samstag, 17.12.2011, befand sich im allgemeinen politischen Teil ein Artikel mit der Überschrift „Hartz IV versinkt in Bürokratie“.
In dem Artikel wird dargelegt, dass die ursprüngliche Intention der Vereinfachung der Sozialleistungen nicht oder nur eingeschränkt bewirkt wurde. Dies ist jedoch nur ein Teil des Hintergrundes, der bei den Regelungen des SGB II zu beachten ist. Ursprüngliche Intention des rot-grünen Gesetzgebers war es, durch die Streichung der Arbeitslosenhilfe so viel Geld einzusparen, dass die Umstellung der Bürokratie gegenfinanziert werden konnte. Dies hat nicht funktioniert und war vom Ansatz her unter zwei Gesichtspunkten auch falsch:
Zum Einen war es eine Quasi-Enteignung derjenigen Personen, die vorher einer entsprechenden Arbeitstätigkeit nachgegangen sind und zugleich die Gleichstellung mit denen, die noch niemals Geld verdient haben. Darüber hinaus sollte durch völlig willkürliche Festsetzung des pauschalisierten Betrages, welcher als Grundunterstützung gewährt wird, weniger Einzelfallgerechtigkeit und damit auch weniger Arbeit anfallen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei wichtigen Entscheidungen dargelegt, dass sowohl die Organisationsform der damaligen ARGEn als auch die von der Politik betriebenen Schätzungen, was wohl nötig sei, um in dieser Gesellschaft leben zu können, verfassungswidrig sind. Hartz IV war damit an zwei Punkten verfassungsrechtlich gescheitert.
Und damit nicht genug: In einer der ersten Entscheidungen, die das Bundessozialgericht im Oktober/November 2006 gefällt hat, hat das Gericht ganz klar festgestellt, dass die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaften ein rechtsdogmatischer Irrweg ist und den Gesetzgeber explizit aufgefordert, dies unverzüglich zu ändern. Der Gesetzgeber in seiner unbestreitbaren Weisheit (Wem Gott ein Amt gibt, gibt er auch den nötigen Sachverstand) hatte es nicht nötig, auf die Experten des Bundessozialgerichts zu hören.
Da die Regelungen des SGB II auch wenig durchdacht waren, sah sich der Gesetzgeber stattdessen gezwungen, mehr oder weniger häufig (über 50) Änderungen des Gesetzes vorzunehmen. Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass die Gesetze transparenter wurden oder sozial ausgewogener, sondern nur dazu, dass noch mehr fehlerhafte Bescheide in die Welt gesetzt wurden (nach eigenem Bekunden ca. 50 %).
Hartz IV ist die absolute und vollständige sozialpolitische Bankrotterklärung. Darüber hinaus hat dies auch zum absoluten Verwaltungschaos geführt. Jeder Arbeitnehmer, der 50 % seiner Arbeit mehr oder weniger falsch macht, wird zu einem sehr ernsten Gespräch mit seinem Arbeitgeber gebeten. Jeder Vorgesetzte, der feststellt, dass seine Mitarbeiter in der Hälfte aller Fälle Fehler machen, wird sich gegenüber seinem Chef verantworten müssen, da eine solche Fehlerquote völlig inakzeptabel ist.
Wenn man in diesem Zusammenhang auch noch bedenkt, dass die Kosten für Hartz IV pro Jahr ca. 50 Milliarden betragen, wovon allerdings noch nicht einmal 24 Milliarden bei den Bedürftigen ankommen, dann scheint es zwingend zu sein, eine Generalrevision dieses Systems vorzunehmen. Der völlig falsche Weg ist, über veränderte Regelungen bei Prozesskostenhilfe die Klagemöglichkeiten und damit den Rechtsschutz gegen fehlerhafte Verwaltungsakte zu reduzieren.
Soweit in dem Artikel Heinrich Alt vom Vorstand der Bundesagentur für Arbeit dahingehend zitiert wird, dass anders als bei der Sozialhilfe sich die Menschen nicht mehr als Bittsteller fühlen müssten, so ist dies völlig unverständlich. Herr Alt scheint die gesetzlichen Regelungen nicht wirklich zu verstehen, da die damaligen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz ebenfalls ein Rechtsanspruch waren. In der Praxis berichten die Menschen, die Anträge bei den Jobcentern stellen, von viel rigiderer Vorgehensweise als früher bei den Sozialämtern. Die Antragsteller werden zum Teil regelrecht „zusammengeschissen“.
Wenn uns Mitglieder berichten, die über 30 Jahre Beiträge zur Sozialversicherung geleistet haben, dann von der noch sehr jungen Sachbearbeiterin dahingehend angemacht werden, wie sie es wagen könnten, von der steuerzahlenden Allgemeinheit zu leben, so ist das nicht nur verfehlt, sondern eine regelrecht verwirrte Wahrnehmung von Realität.
Wenn Reiner Lipka, Geschäftsführer des Jobcenters Gelsenkirchen, dahingehend zitiert wird, dass er eine stärkere Pauschalisierung der Leistungen haben will, so ist dies kaum nachvollziehbar, da die meisten Leistungen nach SGB II bereits pauschalisiert sind. Es sei insoweit anempfohlen, die Regelungen des SGB II noch einmal daraufhin durchzusehen.
Das sozialste an der rot-grünen Bundesregierung war nicht die Einführung von Hartz IV, sondern die Einführung des Flaschenpfandes. Jeden Morgen sieht man in den Städten Leute, die Flaschen aufsammeln, um sich ein kleines Zubrot zu verdienen.