Leserbrief an die WAZ zum Artikel „Erste Baustelle: Jobcenter“ in der Ausgabe vom Montag, den 05.10.2009
Über das Elend auf beiden Seiten des Schreibtischs
In der WAZ von Montag, dem 05.10.2009, befand sich ein Artikel mit der Überschrift „Erste Baustelle: Jobcenter“.
In dem vorgenannten Artikel ging es um die Frage, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die verfassungswidrige Mischverwaltung durch die ARGEn in die Verwaltungspraxis umzusetzen ist.
Es ist klar, dass die Frist, die das Bundesverfassungsgericht bis zum 31.12.2010 gesetzt hat, einzuhalten ist. Spätestens mit Stichtag 01.01.2011 muss es eine komplett neue Organisation der Transferzahlung gem. SGB II geben. Im Streit befinden sich zwei Grundkonzepte, nämlich zum einen die Leistungsgewährung über die Bundesagentur für Arbeit zu organisieren und als Alternative, die Organisation dieser Leistung über die Gemeinden zu betreiben.
Für das Konzept eins, also die Leistungserbringung über die Bundesagentur für Arbeit, spricht, dass diese die konkreten Leistungszahlungen bereits abwickelt und insofern große Erfahrung damit hat.
Dagegen spricht, dass die Zahlungen eigentlich immer falsch sind, da z. B. die Rundungsregelung des SGB II grundsätzlich nicht eingehalten wird. Die Bundesagentur für Arbeit war bis heute nicht in der Lage, ein EDV-Programm zu organisieren, das die korrekte Bescheidung und Zahlung bewirkt. Lässt man also die Leistungserbringung weiterhin von der Bundesagentur für Arbeit durchführen, kann davon ausgegangen werden, dass nicht mehr Parlamentarier die Gesetze bestimmen, sondern ausschließlich die ausführenden Verwaltungen und dann konkret die Programmierer der entsprechenden Software.
Es ist für uns kein Grund erkennbar, warum sich dieses Organisationsdesaster ändern sollte, wenn die BA die alleinige Führerschaft hat.
Ein weiteres Argument gegen die BA besteht darin, dass es damit den Gemeinden ermöglicht wird, die armen Menschen in ihrer Gemeinde komplett auszublenden. Diese existieren im Verwaltungsgefüge des Rathauses nicht mehr und es ist um so leichter, dann in unbezahlbaren Sphären zu schweben, wie z. B. Bochum und sein Konzerthaus.
Nach diesseitiger Auffassung sollte es einen gesetzlichen Anreiz geben, dass die Gemeinden sich der Armut stellen und durch eine effiziente Wirtschaftsförderungspolitik die Anzahl der Armen und damit im Prinzip der Arbeitslosen vermindern. Dass Wegschieben ins Nirwana einer nicht mehr zu kontrollierenden Bundesbehörde schafft nur wirre Finanzvorstellungen in den Rathäusern.
Es soll an dieser Stelle jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass bei einer Organisation der Leistungsgewährung durch die Kommunen in erheblichem Umfang Anforderungen an die Organisation gestellt werden. Dass diese geschultert werden können, zeigt in unserem Einzugsbereich die Stadt Mülheim. Aus unserer Beratungserfahrung heraus kann gesagt werden, dass die Leistungsempfänger in Mülheim erheblich besser gestellt sind als z. B. in Essen, Bochum, Dortmund, Herne, Witten etc.. Die Stadt Mülheim hat ein viel größeres Interesse, die Probleme in den Griff zu bekommen als die vorgenannten ARGEn. Dies zeigt sich in der Praxis daran, dass die Leistungsgewährung zum einen schneller und zum anderen korrekter erfolgt, was für die Betroffenen nur gut sein kann.
Dies betrifft direkt und indirekt auch die Beschäftigten, da dann wieder klare Verhältnisse im Hinblick auf den Anstellungsträger, die Personalvertretung und die allgemeinen Bedingungen der Arbeitserbringung herrschen. Dies wird die Motivation der Mitarbeiter, korrekte Bescheide zu erlassen, zweifelsfrei fördern. Die Erlassung von korrekten Bescheiden wiederum wird die Anzahl der Widersprüche bzw. Klagen bei den Sozialgerichten vermindern und insofern eine beruhigende Wirkung auf die allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen haben.
Die von einigen, wie z. B. dem Noch-Arbeitsminister Scholz, gemachten Vorschläge hinsichtlich der Beibehaltung dieser Mischverwaltung und Änderung der Verfassung wird völlig andere Folgen haben. Dass ein völlig verkorkstes Gesetz mit einer chaotischen Verwaltung zu einer Verfassungsänderung führt wäre eine völlige Verdrehung rechtsstaatlicher Grundsätze. Es erinnert ein wenig daran, als wenn man dem Betrüger den ergaunerten Betrag belassen würde mit der Begründung, was lässt der Depp sich auch betrügen.
Die Gesetze, die der Bundestag erlässt, sind an der Verfassung zu prüfen und nicht die Verfassung an völlig verkorksten Gesetzen und chaotischen Verwaltungen.
07.10.2009